Traurige Tropen

Für mich besteht dieses Buch aus der seltsam gelungenen Mischung aus wissenschaftlicher Beobachtung und, im Wissen um das bereits Zerstörte, sehr persönlicher Interpretation.
"Traurige Tropen" enthüllt uns die präkolumbische Welt Amerikas. Und indem uns Claude Lévi-Strauss von seinen Begegnungen mit den Ureinwohner erzählt, erschließen sich ganz nebenher einige selbstkritische Aspekte zu den Werten unserer eigenen Welt.
Hier ein Beispiel über seine Betrachtung zur Bedeutung des Schrifttums:
Bleistift und Papier gehörten u. a. zu den Tauschgeschenken des Forschers an die Nambikwara, einer kleinen Gruppe, die frei von jeder Schriftkenntnis ist (war) und auch keine Zeichnungen oder Malereien anfertigte. Gleichwohl notierte der Häuptling schon nach kurzer Zeit kleine Wellenlinien auf das Papier. Zunächst um Augenhöhe mit den fremden Besuchern zu halten, im weiteren jedoch, um den eigenen Stammesgenossens gegenüber eine Überlegenheit auszustrahlen.
Anhand solcher Erfahrung erinnert uns Lévi-Strauss an die Ur-Funktionen der Schrift, an die ersten Listen: Listen über Waren - darin auch Sklaven, Listen zu Abgaben - darunter der Zehnte, Listen der Acht - der Ächtung bestimmter Personen. Erst viel später verlässt die Liste ihre Form und wird zur Aufzeichnung von Gedanken, wird zur Verschriftung kunstvoller Prosa.
Dieses Buch lässt sich als Roman erleben: Seite für Seite. Doch kann man darin auch blättern, sich von den einzelnen Kapiteln einfangen lassen; immer passiert etwas mit einem selbst. Das ist großartig.