Dieses Buch habe ich entdeckt, als ich in New York City russische Literatur und klar, auch die Geschichte und Kultur Russlands studiert hatte. Das war nach dem Sputnik-Flug von 1957, und meine Freunde und Kommilitonen wollten alles über dieses Land wissen. Das beschränkte sich aber nicht allein auf das glorreiche 19. Jahrhundert der Literatur mit den Werken von Puschkin, Gogol, Lermontov, Turgenjew, Dostojewski und Tolstoi, sondern schloss die Historie der Zaren mit ein sowie die jüngere Geschichte von Lenin, der Revolution und die zeitgenössische Geschichte des Hauptgegners der USA im Kalten Krieg: Stalin und die Verhältnissen in der Sowjetunion.
Als wir mehr und mehr über die Schauprozessen in der UdSSR lasen und hörten, fragten wir uns, wie ein solches System entstanden, wie es möglich war, dass unschuldige Menschen ohne Federlesen an die Wand gestellt und hingerichtet wurden. Ich ging so weit, dass ich die Zeitung "Prawda", das Organ der KPdSU abonnierte - in Brooklyn!
Irgendjemand erzählte mir dann von dem Roman Arthur Koestlers aus dem Jahr 1940. Als Taschenbuch war "Darkness at Noon" leicht zu bekommen, und bei der Lektüre gingen bei mir die Lichter an! Ein überzeugter Parteigänger von Lenin und Stalin, Nikolai Salmanowitsch Rubaschow wird denunziert. Ein Verbrechen. Er wird verhört, er bestreitet die Vorwürfe, aber mit den fiesen Tricks des Schlafentzugs, des Zeitrauben und der psychischen Zerstörung, gibt er Verbrechen zu, die er nie begangen hatte und wird erschossen.
Ein Schlüsselerlebnis. Im Laufe der letzten Jahrzehnte haben viele Diktaturen – auch Verantwortliche in dem Land, in dem ich geboren wurde – diese Methoden verfeinert: "Sonnenfinsternis" bleibt also aktuell. Und mit den Jahren ist auch der Ruf des Autors verfeinert worden; ungarischer Jude, frühes KP-Mitglied, nervte er Albert Einstein so sehr, dass dieser sagte: “Gott weiß alles, aber Arthur Koestler weiß alles besser.” 1933 war Koestler mit Willi Münzenberg und Otto Katz (Kommunistische Internationale) einer der Fabulierer vom "Braunbuch über den Reichstagsbrand", was mich erneut zu einer virtuellen Begegnung mit Koestler führte. Man lebte gefährlich: im Sommer 1940 wurde Münzenberg in Südfrankreich tot aufgefunden; über seinen Tod gibt es noch immer Spekulationen. Katz wurde 1952 als Verräter in Prag zum Tode verurteilt und hingerichtet: eine real-life Version von Koestlers Rubaschow. Nach dem 2. Weltkrieg lebte Arthur Koestler in Frankreich und London, wo er im März 1983 Selbstmord beging.
“Sonnenfinsternis” ist mit George Orwells "Animal Farm” und “1984” ein Teil des liberalen Kanons.